Carl Jacobsen’s Correspondence Archive
1889-06-10
Sender
Wolfgang Helbig
Recipient
Carl Jacobsen
Transcription
Roma Villa Lante 10/6 89
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Verehrtester Herr und Freund
Gestern Abend aus Anzio zurückgekehrt, habe ich Ihren Brief vom 4. vorgefunden. Was zunächst die Medusa betrifft, so muss ich wirklich meine Hände in Unschuld waschen. Sie wissen ja, wie peinlich es für mich ist Aquisitionen zu machen auf einem Gebiete, auf dem ich mich nicht taktfest fühle. Die Medusa lässt sich bis zum Anfänge der dreissiger Jahre zurückverfolgen. Es ist bekannt, dass Canova in seinem Atelier mehr oder minder modernisierte Copien nach Antiken ausführte oder von seinen Scarpellini ausführen liess und hiermit recht viel Geld verdiente. Ein punktiertes Exemplar der Medusa
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soll sich im Canovamuseum befinden. Den Ausschlag gab jedoch für mich die Erklärung von Tyskiewicz, dass er, falls er noch Marmorwerke sammelte, die Medusa als Specimen Canovascher Technik erwerben würde.
Mein vorgestriger und gestriger Ausflug kann für die Glyptothek von grösser Tragweite werden. Bei einer in der Villa Sarsina unternommenen Gartenarbeit stiess man zufällig auf die Fassade des sog. Fortunentempels. Jede der beiden neben dem Eingänge angebrachten Nischen enthielt eine Statue von heroischer Grösse. Die in der 1. Nische befindliche Figur ist eine unbedeutende römische Copie nach einer attischen Gewandstatue aus dem 5. Jahrhundert. Hingegen ist die in der anderen Nische aufgestellte Statue eine hellenistische Originalarbeit ersten Ranges,
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ausgezeichnet auch durch die vortreffliche Erhaltung; es fehlen daran nur ganz unbedeutende Splitter. Ein Mädchen schreitet nach l. vor, bekleidet mit einem Chiton aus dickem wollenen Stoffe; es neigt den Kopf in etwas koketter Weise nach der l. Schulter und hält mit der R. eine Platte, auf welcher Blumen, Früchte und eine Schriftrolle liegen. In der Stilisierung fällt der Gegensatz auf zwischen der strengen Behandlung des Chitons, welcher an die attische Kunstweise des 5. Jahrhunderts erinnert, und dem sehr lieblichen Typus des Kopfes und der anmuthigen Bewegung des Körpers, die von hellenistischem Geiste durchdrungen erscheinen und die besten Analogien in den tanagräischen Thonfiguren finden. Die Statue scheint
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demnach einer eklek[tischen] Richtung anzugehören, für deren Existenz in der hellenistischen Kunst ja mancherlei Zeugnisse vorliegen. Eine Deutung kann ich im Handumdrehen nicht vorschlagen. Doch ist mir auch hier der Gedanke aufgestiegen, dass es sich um eine Stadtgöttin handelt, welche einem siegreichen Feldherrn ihre Hochachtung, respective Übergabe (die Rolle etwa der Vertrag?), darbringt. Ich kenne die Fürstin Sarsina nur oberflächlich und wagte demnach ihr gegenüber nicht meine Batterien zu demaskieren. Doch habe ich ihrem Maestro di casa gesagt, dass ich geneigt sei, die Statue zu erwerben, und dass er, falls er billige Bedingungen erwirke, die übliche Mancia haben würde.
Ich dinierte in der Villa Borghese. Nach dem Diner nahm mich Borghese bei Seite und theilte mir mit, er erwäge, ob es nicht zweckmässig sei, einige in seiner
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römischen Villa befindlichen Skulpturen zu verkaufen. Er habe die betreffenden Stücke, um sie den Augen des Publicums zu entziehen, aus dem Casino der Villa in die Privatgemächer seines Palastes versetzen lassen. Definitives könne er erst im Laufe des Winters mittheilen. Zunächst müsse sein Advocat feststellen, ob sich jene Stücke als nicht zum Majorat gehörig betrachten liessen. Die aus der Villa in den Palast gebrachten Sculpturen sind die Hauptstücke der Sammlung:
x) ich bitte hierüber ja nichts in Paris mitzutheilen!
1) die bis vor Kurzem für Anakreon erklärte Statue: Mon. dell'Inst. VI 25; Annali 1859 p. 155 ff.
2) die früher für Alkaios oder Tyrtaios, gegenwärtig sicher für Anakreon erklärte Statue: Arch. Zeitung XLII (1884) T. 11 u. I p. 149 ff. 3) die antike - nicht die Berninische - Daphnestatue: Clarac III pl. 540 B u. 966 C; diese allerdings
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stark restauriert und mehr interessant als schön.
4) eine prachtvolle hellenistische Porträtbüste, scheusslich publiziert bei Nibby Monumenti scelti di villa Borghese T. 30. 5) Herakles bei Omphale spinnend: ich glaube noch unpubliziert.
Scheint es Ihnen, da es sich um eine Kaufgelegenheit von so bedeutender Tragweite handelt, nicht doch zweckmässig, dass wir uns in München treffen und hinsichtlich aller einschlagender Gesichtspunkte das pro und contra mündlich durch sprechen? Das Abiturientenexamen meines Sohnes hält mich bis zum Ende Juli in Rom fest. Um den 20. August muss ich mit einem Oheim meiner Frau an irgendwelchem noch näher zu bestimmenden Punkte des mittleren Europas Zusammentreffen.
Also würde mir die
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Zeit vom 3. bis 15. August am Besten passen.
Bei Borghese traf ich auch Orsini. Er sagte mir, er werde den 16. Juni nach Nemi gehen, wo sich seine Antikenschätze befänden, und werde bis zum 26. dort bleiben; dann reise er nach Paris, wo er bis Ende des Jahres zu bleiben gedenke. Wolle ich Gegenstände aus seinem Kunstbesitze erwerben, so müsse ich mich bis zum 26. entscheiden. Ich habe Ihnen bereits im vorigen Jahre über die von Orsini im Haine der Diana Nemorensis gefundenen Sculpturen berichtet. Wie mir der Fürst sagt, sind dazu noch einige andere gekommen, die er bei einer im Frühjahre an derselben Stelle unternommenen Ausgrabung zu Tage gefördert. Ich werde den 17. nach Nemi reisen und
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Ihnen ausführlichen Bericht abstatten, muss Sie aber dann um telegraphischen Bescheid bitten, da die Zeit bis zum 26. zu beschränkt sein würde, um uns brieflich zu verständigen.
Der Jonassarkophag ist um 1500 Francs erworben und geht dieser Tage nach Kopenhagen ab. Innerhalb des Behälters verpacke ich die letzthin erworbene Seilenmaske, die offenbar von dem neuerdings von der italienischen Regierung bei Civita Castellana (Falerii) ausgegrabenen Tempel stammt.
Die zu der letzten Sendung gehörige Porträtbüste gehört nach ihrem Stile wie nach ihrem Ausdrucke sicher der Diadochenzeit an. Über den Stil behalte ich mir weitere Mittheilungen vor. Was den Ausdruck betrifft, so bitte ich Sie einfach eine antike Ikonographie durchzublättern. Sie finden den sentimal-schwärmerischen Ausdruck jenes Kopfes bei keinem römischen Porträt, aber bei allen Porträts aus der Diadochenzeit.
Herzliche Grüsse von Ihrem ergebenen Helbig
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